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Situationen neu bewerten

Negative Gefühle nehmen Einfluss auf das, was wir tun. Wenn es uns gelingt, die Situation neu zu bewerten, können trotzdem gute Momente entstehen.

von Stefan Kradolfer, Schulheim Scharans

Wie schön wäre es, stets fröhlich durch den Tag zu gehen, alle Dinge positiv zu sehen (auch die herausfordernden) und sich durch nichts die Laune verderben zu lassen. Oft leider ein Wunschtraum, wenn die Emotionen hoch kochen. Dennoch kann einiges für einen gelingenden Tag gemacht werden. Eine Möglichkeit ist es, zu lernen, Situationen neu zu bewerten.

Der ganz normale Wahnsinn

Eine typische Situation könnte in etwa so aussehen:

Situation: Es geschieht etwas. Beispielsweise fällt mir ein Joghurtbecher im Einkaufsladen auf den Boden.

Wahrnehmung: Die Situation wird erfasst. Der Joghurtbecher ist kaputt gegangen und ausgeleert.

Bewertung: Je nach Erfahrungen, Prägung, Laune, Kultur etc. bewerten wir die gleiche Situation unterschiedlich. In diesem Fall könnte es sein: So eine Sauerei.

Gefühl: Auf Grund der Bewertung entstehen Gefühle und innere Reaktionen. Beispielsweise ist es mir peinlich, ich schäme mich oder ich denke, dass solche Sachen immer nur mir passieren.

Handlung: Häufig handle ich auf Grund des Gefühls. Also schaue ich mich um und wenn es niemand gesehen hat, laufe ich weg.

Veränderung ist möglich

An der Situation und der Wahrnehmung kann ich nichts ändern. Auch auf die erste Bewertung und das daraus resultierende Gefühl habe ich kaum Einfluss. Es ist also praktisch unmöglich, nur durch Wollen das eigene Gefühl zu ändern (nicht es zu unterdrücken). Aber ich kann eine andere, zweite Bewertung machen, damit ein neues Gefühl entstehen kann. Mit diesem Gefühl verändern sich auch meine Handlungsmöglichkeiten und ich kann mich neu entscheiden, was ich tun will.

Zurück zum Beispiel: Nachdem ich mich aufgeregt habe, überlege ich mir eine zweite Bewertung. «Ach, ist halb so schlimm», «Schau mal, das ausgelaufene Joghurt hat ein schönes Muster gegeben» oder «Witzig, heute wird mir bestimmt nicht langweilig, wenn ich weiter so unterwegs bin». Diese andere Bewertung kann in mir ein Gefühl von Heiterkeit auslösen, ich gewinne an Gelassenheit oder ordne die Aktion als  weniger bedeutend ein.

Veränderung ist mit Arbeit verbunden

Die zweite Bewertung zu verändern ist möglich, aber leider nicht immer einfach. Oft braucht es dafür viel Übung. Konkret kann das heissen, dass ich mir in solchen oder ähnlichen, mühsamen Momenten Zeit nehme, innehalte und mir die Frage stelle: Was ist genau passiert?

Wichtig und auch herausfordernd ist, dass in die Wahrnehmung noch keine Bewertung fliesst, was leider sehr schnell passieren kann. Wenn es mir gelingt, die Situation zu akzeptieren (Ja, der Joghurtbecher ist MIR heruntergefallen), kann ich mir überlegen, wie ich die Situation neu bewerten könnte und mich für eine Variante entscheiden.

Ein anderes, mögliches Training basiert darauf, dass ich mich in Stresssituationen hineinversetzen kann. Bestimmte Dinge ärgern mich mehr als andere und wenn ich diese Punkte kenne, habe ich schon einiges erreicht. Ich kann auch mit dieser unangenehmen Vorstellung spielen und sie bewusst in einer neuen Art und Weise auflösen.

Auch das Formulieren von positiven, humorvollen Merksätzen (spezifisch: «Gut, die Schwerkraft funktioniert noch» Generell: Wow, Schusseltraining für heute schon fertig.») kann helfen, schneller eine zweite Bewertung vorzunehmen.

Grosser Nutzen

Mit der Zeit gelingt es immer besser, Situationen neu zu bewerten. Die daraus folgenden positiven Gefühle und damit neuen Handlungsmöglichkeiten entschädigen den Aufwand auf jeden Fall. Das Ganze gilt übrigens nicht nur bei heruntergefallenen Joghurts. Auch bei Unmut aus Konflikten oder Ärger in der Erziehung kommen die negativen Gefühle auf Grund der gemachten Bewertung.

Quelle: (Zusammengestellt in Anlehnung an «Miteinander reden: 1» von Schulz von Thun, 1981)

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