Selbstwirksame Eltern in Krisensituationen
Auch in der grössten Ohnmacht können Eltern ETWAS TUN und Schritte in die positive Richtung wagen, meint die neue Autorität
Thomas Rentsch, Schulheim Zizers und Andreas Hirzel, Schulsoziarbeit in Zizers
Was ist die neue Autorität?
In Überforderung und Ohnmacht versuchen Eltern und Kinder intuitiv, die Oberhand zu gewinnen und sich machtvoll durchzusetzen (physisch, psychisch, verbal). Die Folge sind meistens weiter eskalierende Konflikte. Neue Autorität hat zum Ziel, die Eltern in der Erziehung zu stärken. Anstelle jeglicher Form von Machtausübung und Gewalt beschreibt sie konkrete und alternative Handlungsansätze.
Die hier beschriebenen Handlungen haben mehrheitlich nachhaltige, statt unmittelbare Wirkung. Sie wirken der gefühlten Ohnmacht entgegen, indem sie anerkannte, positive und jederzeit machbare Optionen beschreibt.
Was tun, wenn’s brennt?
Selbstkontrolle: Wenn wir im Moment die Situation nicht zufriedenstellend steuern können, können wir doch unsere eigenen Impulse kontrollieren. Diese Form der Selbstbeherrschung ist oft der erste Schritt eine schwierige Situation positiv beeinflussen zu können. Wir können zwar keine Probleme lösen, wenn wir uns im Griff haben. Aber es wird langfristig eine deeskalierende Wirkung entfalten.
Praxisbeispiele:
- «ich lasse mich nicht hineinziehen»
- Lächeln. Innehalten.
- Die Gefühle für sich behalten
- Problem nach Abkühlung behandeln
Gewaltloser Widerstand: Widerstand ohne Gewalt und Macht zu leisten, also ohne zu drohen oder verletzend zu werden, erfordert in schwierigen Situationen viel innere Stärke. Trotzdem ist es unsere erzieherische Pflicht einem negativen Verhalten zu trotzen. Dabei lassen sich ganz unterschiedliche Formen des Widerstandes wählen.
Praxisbeispiele:
- «Wir können dein Verhalten nicht akzeptieren und wir werden alles Mögliche unternehmen, um es zu stoppen.»
- «Wir werden dich dabei nicht bedrohen und wir werden nicht mit Gewalt reagieren.»
- «Wir wissen noch nicht, was wir tun werden, aber wir kommen darauf zurück.»
Präsenz: Präsent sein bedeutet nichts weniger, als entschlossen und verlässlich in der Beziehung mit dem Kind zu bleiben. Dabei wirken wir nur glaubwürdig, wenn wir sichtbar und ansprechbar werden. Ob das Kind sprechen will oder nicht ist dabei untergeordnet. Es geht darum ganz im Hier und in der Beziehung zu sein.
Praxisbeispiele:
- ICH BIN DA, bleibe in der Beziehung
- Ich richte meine Aufmerksamkeit auf die Beziehung mit dir und lasse mich nicht von anderem ablenken
Wertschätzung: Unserem Kind Wertschätzung zu zeigen ist vor allem in Konflikten sehr herausfordernd. Aber genau in einer solchen Situation entfaltet die Wertschätzung ihre grösste Wirkung: Hier ein echtes, positives Empfinden gegenüber dem Kind ausdrücken hilft, den Blick auf andere Aspekte der Beziehung zu lenken.
Praxisbeispiele:
- Du bist (trotz allem) einzigartig, mein Kind
- Positive, ernstgemeinte Aussagen machen (vielleicht in einem ruhigen Moment eine Sammlung machen)
- Wir haben viel Schönes zusammen erlebt, das bleibt uns erhalten
Beziehungsgesten: Selbst, wenn unser Kind mit seinem Tun und seinen Worten die gemeinsame Verbindung durch den Dreck zieht, ist es doch unsere Entscheidung ob wir das für uns zulassen oder nicht. Beziehungsgesten lassen sich auf unterschiedlichste Art in den Alltag einflechten und setzen ein klares Signal an das eigene Kind.
Praxisbeispiele:
- Ich kämpfe um die Beziehung zu dir – nicht gegen dich.
- Aufmerksamkeiten schenken (etwas Feines kochen z.B.)
- Rituale wie gemeinsames Essen, Gute-Nacht-sagen weiterhin umsetzen.
Unterstützung: Wenn wir mit unserem Latein am Ende sind, alles Mögliche ausprobiert haben, sich alles dreht und das Problem trotzdem immer grösser wird, benötigen wir Hilfe von aussen. Dabei sind neben pädagogischen Fachpersonen vor allem Menschen mit einem direkten Bezug zu uns und unserem Kind gemeint.
Praxisbeispiele:
- Wer (aus dem familiären Umfeld, der Schule usw.) könnte in dieser Situation helfen?
- Wer hat einen unbeschwerten Zugang zum Kind?
- Probleme aus dem Geheimen ans Licht bringen: mit möglichen Unterstützern über die Situation ins Gespräch kommen.
Wachsamkeit: Unser Kind braucht keine oberflächliche Aufmerksamkeit, sondern möchte als Persönlichkeit ernst genommen werden. Dies gilt auch in heiklen Situationen, in denen unser Einfluss geschwunden ist. Wachsam sein bedeutet dann nicht nur zu kontrollieren was das Kind macht, sondern vor allem Signale zu senden, dass wir uns ernsthaft interessieren, was vor sich geht.
Praxisbeispiele:
- Als Mutter/Vater bin ich INTERESSIERT AN DEINEM LEBEN und sorge für dich. Ich will wissen was läuft und besorge mir Informationen über dein Leben, auch wenn du dies nicht gerne hast.
- Ich komme in deine Lebenswelten, um mir ein eigenes Bild davon zu machen (virtuell oder real)
Welche Denkweisen unterstützen mich darin?
Die Methoden der neuen Autorität, so konkret anwendbar sie auch sein mögen, erfordern viel Kraft. Beharrlich dranzubleiben, nicht nachzugeben und gleichzeitig nicht dem Reiz der Machtausübung zu verfallen erfordert viel Disziplin. Das bedeutet auch, dass man sich ausruhen und erholen sollte, damit man frisch agieren kann. Die folgenden Aussagen können die Anwendung als eine Art Merksätze unterstützen:
- Das Eisen schmieden, wenn es kalt ist
- Privatsphäre des Kindes hat Grenzen, wenn dabei das Leben aus den Fugen gerät
- Besonders in Momenten mit Krisen-/Leidens-/Problem-Potential ist die eigene Intuition kein schlüssiger Ratgeber mehr.
- Es geht nicht ums Besiegen oder besiegt werden: wir bleiben beharrlich – Beharrlichkeit hat Bestand – Siege sind einmalig
- Ich kann das Kind nicht kontrollieren oder verändern. Aber ich kann mich selbst kontrollieren, meine Schritte abwägen und handeln.
- Über ein erstes Schweigen ergeben sich oft die besten Möglichkeiten